Jüdischer
Friedhof
Münster

Der jüdische Friedhof an der Einsteinstraße in Münster ist ein Zeugnis von 200 Jahren jüdisch-deutscher Geschichte im Münsterland

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Blick auf einstöckiges Gebäude, unmittelbar davor zwei hohe Säulen und eine Metalzaun, rechts und links Grabsteine.
Die Friedhofshalle, die 1928
nach Plänen von Wilhelm
Peter Strupp erbaut wurde
Mehrere Grabsteine auf teils grünem, teil unbewachsenem Boden. Im Hintergrund hohe Bäume, links eine Mauer aus roten Ziegeln.
Impressionen vom jüdischen
Friedhof an der Einsteinstraße

Haus der Ewigkeit:
Ort der Toten –
Ort lebendiger
Erinnerungen

Ein Friedhof gilt im Judentum als „Beth Olam“ – „Haus der Ewigkeit“. Die Grabsteine werden nicht abgeräumt und Grabstätten auch nicht nach einer bestimmten Frist weitergegeben. Deshalb sind jüdische Friedhöfe kostbare Zeugnisse jüdischer Geschichte, die an manchen Orten Westfalens bis ins Mittelalter zurückreicht.

Auch in Münster gab es bereits im 13. Jahrhundert eine jüdische Gemeinde; ihr Begräbnisplatz lag auf dem Gelände des heutigen Gymnasium Paulinum. Sie wurde im Zuge der Pestpogrome 1348–1350 ausgelöscht. Im 16. Jahrhundert, zur Zeit des Bischofs Franz von Waldeck, lebten noch einmal jüdische Familien in Münster, die aber wohl keinen eigenen Begräbnisplatz hatten und nach dem Tod des Bischofs vertrieben wurden. Erst als Münster im Gefolge der Französischen Revolution unter die Herrschaft Frankreichs gekommen war und man die neuen Rechte von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit durchsetzte, wurde Juden ab 1810 erneut die Niederlassung gestattet. Damit beginnt auch die Geschichte des Friedhofs an der Einsteinstraße.

Der älteste Grabstein auf dem Friedhof ist der von Sophie Haindorf geb. Marks, die im Alter von erst 25 Jahren nach der Geburt ihrer Tochter starb

Die frühen Jahrzehnte

Es war der Wunsch schon der ersten jüdischen Familien, die nach Münster kamen, hier auch einen eigenen Begräbnisplatz zu haben. Der frühe Tod eines Kindes im Januar 1811 führte dazu, dass man offi ziell beim Bürgermeister der Stadt den Antrag stellte, einen Ort für den Friedhof zugewiesen zu erhalten. Kurz vorher waren auch die christlichen Friedhöfe vor die Tore der Stadt verlegt worden, so dass die Wahl auf ein Stück Gartenland vor dem Neutor fiel. Nach längerem politischen Hin und Her kam im Juli 1812 schließlich die Bewilligung.

 

Aus den ersten fünf Jahrzehnten (1811/12–1860) gibt es nur wenige Spuren. Nach Ausweis der Personenstandsregister (soweit sie erhalten sind) müssen es anfangs vor allem Kinder gewesen sein, die beigesetzt wurden, vereinzelt auch ältere Menschen, die zusammen mit ihren Familien nach Münster gezogen waren. Aber auch junge Frauen sind darunter, die die Geburt ihres Kindes nicht überlebt haben. Der älteste Grabstein auf dem Friedhof ist der von Sophie Haindorf geb. Marks, die am 16. September 1816 im Alter von erst 25 Jahren nach der Geburt ihrer Tochter starb. Sie war verheiratet mit dem Arzt und Dozenten für Medizin Dr. Alexander Haindorf. Er blieb nach dem Tod seiner Frau Witwer und wurde 1862 bei seiner Frau bestattet; ihren Gedenkstein von 1816 übernahm man in die neue Grabgestaltung.

Links zwei umzäunte Grabsteine mit hellem aber bemoostem Stein und dunklen Tafeln, in der Umgebung dunkle Säulen auf hellem Stein.
Impressionen vom jüdischen
Friedhof an der Einsteinstraße
Bemooster Grabstein auf Erdfläche dessen eingemeißelte Inschrift noch leicht erkennbar ist.
Grabstein von Sophie Haindorf – der älteste
identifizierbare
Mehrere helle Grabsteine und halbe Säulen, drumherum Bäume. Vor den Grabsteinen keine Bepflanzung.
Schiefer Grabstein, er lässt einen römischen Tempel anmuten mit spitzem Dach und Säulen links und rechts.
Grabstein mit gebogener Spitze, leicht bemoost, dahinter weitere helle Grabsteine und ein Gebäude.
Heller Grabstein mit angebrachter dunkler Platte mit hebräischer Inschrift. Links lehnt eine Dunkle gewölbte Platte mit hebräischer Inschrift an.
Grabstein von Landrabbiner Abraham Sutro.

Die preußische Zeit

Aus den Jahrzehnten ab 1860 ist der bedeutendste Grabstein der von Abraham Sutro, der von 1815 bis zu seinem Tod 1869 als sogenannter Landrabbiner für Westfalen amtierte und damit eine wichtige politische Vermittlung zwischen den jüdischen Gemeinden Westfalens und der preußischen Regierung darstellte.

 

1887 erstand die inzwischen erheblich gewachsene Synagogengemeinde vom bischöflichen Generalvikariat ein angrenzendes Grundstück nach Westen hin. Die hier zahlreich erhaltenen Grabsteine zeigen das Selbstbewusstsein der Familien im Kaiserreich, als Deutsche jüdischen Glaubens Teil der Stadtbevölkerung zu sein. Hebräische Inschriften, die auf den älteren Steinen großes Gewicht haben, treten zurück; die Gestaltung der Gedenksteine ähnelt in Stil und Geschmack dem der christlichen Mehrheitsgesellschaft. So finden sich Jugendstil- und Bauhauselemente und sogar figürliche Darstellungen, die in der jüdischen Tradition eigentlich verpönt sind.

Die hier zahlreich erhaltenen Grabsteine zeigen das Selbstbewusstsein der Familien im Kaiserreich, als Deutsche jüdischen Glaubens Teil der Stadtbevölkerung zu sein.

Moderner Grabstein aus dunklem Marmor mit Lateinischer und Hebräischer Schrift, zentral auf dem Stein ein Davidstern.
Grab der Eheleute Siegfried und Else Goldenberg.

Vom Dritten Reich bis in die Gegenwart

Im Januar 1936 wurden laut Gestapobericht auf dem münsterischen Begräbnisplatz ‚eine Reihe von Grabsteinen‘ umgeworfen. Während des Zweiten Weltkrieges zerstörte eine Bombe den ältesten Teil des Friedhofes. In der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft wurden zwecks Einschmelzung für die Rüstungsindustrie zahlreiche metallene Grabumrandungen entfernt. Am 10. Juli 1944 forderte das ‚Reichsinstitut für die Geschichte des neuen Deutschlands‘ vom Stadtarchiv Münster eine Bestandsaufnahme des Friedhofs, da der ‚Weiterbestand der Judenfriedhöfe‘ fraglich sei. Offensichtlich war an eine Enteignung oder Veräußerung gedacht, die jedoch nicht zustande kam. Bis zur letzten Deportation im Juli 1942 fanden noch Beisetzungen statt. Eine Reihe von Grabstätten spiegelt die auf Vertreibung und schließlich Vernichtung der Juden zielende Politik des Dritten Reiches: einer der Ehepartner ist noch in Münster bestattet, der zweite Teil der Gruft bleibt leer.

Nach dem Holocaust kamen vereinzelt jüdische Familien nach Münster zurück und begründeten die Gemeinde neu. Darunter sind vor allem Siegfried und Else Goldenberg zu nennen, die auf dem Friedhof an der Einsteinstraße beigesetzt sind. Nachdem die Gemeinde durch den Zuzug von jüdischen Familien aus der ehemaligen Sowjetunion ab den 1990er Jahren stark anwuchs, war absehbar, dass bald weitere Begräbnisfl ächen benötigt würden. Im Jahre 2002 stellte die Stadt einen vom christlichen Teil abgetrennten Begräbnisplatz auf dem städtischen Friedhof „Hohe Ward“ in Hiltrup zur Verfügung.

 

Der Friedhof an der Einsteinstraße wird seitdem nur noch von Gemeindemitgliedern, die dort bereits eine Grabstätte besitzen, genutzt. In den Jahren 2012–2015 wurden die ca. 400 Grabsteine des Friedhofs am Seminar für Exegese des Alten Testaments der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster Münster dokumentiert. Die digitale Dokumentation mit Fotos, Transkriptionen und Übersetzungen der Grabsteine sowie weiteren Informationen zu den dort bestatteten Personen ist zugänglich unter

 

> www.juedischer-friedhof-muenster.de

Rechteckiger hoher heller Grabstein ohne Bepflanzung, leicht bemoost. Daneben ein kleiner Grabstein bis Kniehöhe. Drumherum einige Säulenförmige Grabsteine, im Hintergrund mehrere Bäume.
Statue einer trauernden Frau mit Kranz in der rechten Hand, die linke Hand lehnt mit dem Ellenbogen auf eine runde Säule, auf deren Hand der Kopf gestützt ist. Im Hintergrund Bäume und Grabsteine.
Mittig ein erdiger Weg, links und rechts hohe Bäume und Grabsteine.
Impressionen vom jüdischen Friedhof an der Einsteinstraße
Großer Grabstein mit oxidiertem Kupferrelief von einer Frau und einem Mann. Darüber ein Davidstern, darunter die Namen der Verstorbenen.

Idee u. Text: Bild 1–13: Dipl.-Theol. Ludger Hiepel M. A., Katholisch Theologische Fakultät der Universität Münster Münster, Verein zur Förderung des Jüdischen Friedhofs, an der Einsteinstr. Münster e.V.
Fotos u. Quellen: Bild 1–13: Dipl.-Theol. Ludger Hiepel M. A., Katholisch Theologische Fakultät der Universität Münster Münster, Verein zur Förderung des Jüdischen Friedhofs, an der Einsteinstr. Münster e.V.